Warum ich mich Theoriebildungsprozessen und mit ihnen der Philosophie zugewandt habe
Den Leitsatz meiner Website „Gute Theorien machen einen Unterschied im Leben“ habe ich gewählt, weil ich mich einerseits mit Ansätzen des „systemischen Denkens“ identifiziere, für die Gregory Batesons Satz „Der Unterschied, der einen Unterschied macht“ steht. Dieser Satz wird oft zitiert, ihn zu übernehmen kann schnell abgegriffen wirken. Meine Variante „Gute Theorien machen einen Unterschied im Leben“ soll dennoch einen besonderen Akzent setzen. Seine Besonderheit liegt darin, dass es gerade Theorien sein sollen, die einen wesentlichen Unterschied im Leben von Menschen ausmachen.
Ist diese Intuition abwegig? Bilden Theorien nicht einen unüberwindbaren Widerspruch zum Leben? Dem widerspreche ich vehement!
Der Theorie-Praxis-Dualismus hat mich schon immer gestört. Das griechische Verb theorein heißt zusammenschauen, Theorien bestehen darin, Dinge gedanklich zusammenzubinden. Das ist eine spezifische menschliche Leistung. Sie wird in der Philosophie traditionellerweise unter „Metaphysik“ diskutiert. Menschen wollen wissen, was zwischen den Dingen ist, wie sie verbunden und verbindbar sind, hat Aristoteles dies vor langer Zeit formuliert.
„Gute Theorien“, davon hängt das Zusammenwirken der Menschen ab. Ähnlich wie die politische Denkerin Frigga Haug konstatiere ich darum, dass es erfahrungsarme Theorien, dass es aber auch theoriearme Erfahrungen gibt. Frauenleben und Geschlechterverhältnisse sind durch beides beeinträchtigt. Und um Gesellschaften wesentlich zu verändern, braucht es Theorien, vor allem Theorien über Veränderungsprozesse.
So hat mir Simone de Beauvoirs Kritik, dass Diskussionen über Geschlechterfragen immer nach demselben Schema laufen, sofort eingeleuchtet. Es entsprach auch meiner Beobachtung, dass nur wenige logische Figuren diese Diskussionen prägen. Sagt beispielsweise jemand, „Frauen sind (machen, tun)“, gibt es in der Regel eine Reaktion, die lautet, „Männer doch auch!“ Dieser Ablauf entspricht der Logik der Andersheit. Frauen gelten als das Andere, also kann aus einer Aussage über Frauen geschlossen werden, dass für Männer das andere gilt oder eben nicht, ohne dass das explizit gesagt werden muss. Ich nenne das: der Geschlechterdiskurs ist kausallogisch unterdeterminiert.
Also gibt es auch erfahrungsüberschießende Theorien. In der feministischen Analyse wird von der gender bias theoretischer Konzepte gesprochen. Was ethische Konzepte betrifft, habe ich diesen Zusammenhang systematisch herausgearbeitet und rekonstruiert. Entlang von Aristoteles Ethikkonzept lässt sich nämlich zeigen, dass dieser auf eine Geschlechterkonstruktion zurückgreifen muss, um zu begründen, dass es eine Klasse von Menschen gibt, denen Vernunft und Tugendhaftigkeit aktiv (Männer, freie Bürger), und eine, denen sie passiv zukommt (Frauen, Sklaven, Kinder). Egal zu welcher Themenstellung, übernimmt man Aristoteles Ethikkonzept, läuft man Gefahr, diese Geschlechterkonstruktion weiterzutreiben ohne unbedingt über Geschlechter zu sprechen.
Aber zum Glück gibt es Alternativen. Wie sehen sie aus? Wie kann nicht nur gefordert werden, anders zu denken, wie wird tatsächlich die Fähigkeit des Denkens (die nicht mit der des Kommunizierens mit anderen identisch ist) neuartig praktiziert?
Denken im Mobile, Gerechtigkeit als Denkpraxis, das postmoderne Denken der Differenz als Tätigkeit des Unterscheidens und Verbindens, die Dekonstruktion, letztlich die Rekonstruktion vielfältiger Varianten der Metaphysik und die Erkenntnisse der Ontotheologiekritik – all dies sind Leitplanken, die neue Denkwege beschreiten lassen. Ich engagiere sie in meinen Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Themenstellungen.